Die freie Republik der Adoleszenz


Da saßen sie dann, zu dritt, Frau Beglau flankiert von einem bärtigen Musiker-Rebellen, und von Milo Rau, dem designierten Chef der Wiener Festwochen, der hübsch zurückgenommen ja nicht die Idee aufkommen lassen wollte, dass er der Chef der „Republik“ sei, denn Frau Beglau bestritt die Eröffnungsrede, und dann ging’s auch schon ab, wie auf einer Party von Adoleszenten, für die der Bürgermeister das Rathaus geräumt hatte. Aktenordner wirbelten durch die Luft, ein grauhaariger Beamter im Treppenhaus wurde gerempelt und beinahe über den Haufen gerannt, verdattert blickte er dem verwegenen Haufen nach, der mit aller Bürokratie Schluss gemacht hatte.
Die „Repräsentanten der freien Republik Wien“ waren unterwegs zur Bühne auf dem Rathausplatz. Hui!

Was dann folgte, waren von Zetteln abgelesene Beteuerungen, dass alle willkommen waren in der „freien Republik Wien“, niemand sich fürchten müsse, und alle Geflüchteten von überall her Aufnahme fänden, und das alles gut würde, wenn wir „nur solidarisch sind und einander zuhören“.

Und schon war die Band „Bipolar feminin“ an der Reihe, und ließ keinen Zweifel daran, für wen all diese Freundlichkeit nicht gilt:

«Mit euren Bärten
Seid ihr die Experten für alles
Mit euren Schwänzen
Überschreitet ihr all meine Grenzen
…Ich töte euch alle
Ich bring euch alle um …“

Würde jemand dichten: „Fette Lesbenfotzen machen mich nur kotzen“, würde das zurecht als Hatespeech verurteilt. Aber eben, es gibt auch den gerechten Hass. Er ist eine Einbahnstraße, eine Sackgasse, auf deren Grund der Mann steht.

Pussy Riot durfte,musste, noch ihren Auftritt in der Kirche, mit ihrem Anti-Putin-Song auf die Bühne bringen. Allerdings ohne Verhaftung und zeternde Nonne?. Es war so ein bisschen, als ob ein Boxer, solo, seinen K.O.-Sieg auf der Bühne nachspielt. Man könnte fast sagen, es fehlte da ein bisschen was.

Eine müde wirkende Elfriede Jelinek verlas einen Text, in dem viel von „die und ihr“ die Rede, aber sonst ein bisschen überkomplex war, so auch das Gedicht von Sibylle Berg, die, wenn ich es richtig verstanden habe, eine Endzeitstimmung zum Inhalt hatte. Und ebenso „die“, waren die Hauptakteure. Ich vermutete, es waren die, die getötet werden sollten. Aber ich kann mich auch irren.
Es kam beim jungen Publikum gut an. Gejohle.

Jedenfalls ging’s lustig zu und her. Eben wie an einer Adoloszenz-Party.
Aber immerhin: Es wurden keine Hamasfahnen geschwenkt. (Und die Video-Auftritte von Varoufakis und der BDS-Fanin Annie Ernaux waren offenbar gecancelt worden. Bislang.)


P.S. Ich habe einige Jahre für die Wiener Festwochen in den „Zeitschnitten“ gearbeitet. Als Techniker. Meistens waren es israelische oder jüdische Produktionen.
Den Mumm, dieses Jahr eine israelische Produktion einzuladen, fehlte der „Freien Republik Wien“ ganz offenbar.

Im übrigen erinnerte mich die Veranstaltung mit ihrer Mischung aus Anspruchshaltung, Weinerlichkeit und Pathos an die Vollversammlungen in den „Autonomen Jugendzentren“ in Basel und Zürich, damals, in den 80ern.

Nun denn: es kamen dann die 90er.