Martha Niedermann-Signer (1931 -2024)



Gestern Nacht schlief meine Mutter ein, und wachte nicht mehr auf. „Es sei Zeit“, hat sie gestern noch gesagt. Sie hatte recht, es war Zeit.

Hier ein Auszug aus meinem bald erscheinenden Roman „Buch Maloch“, der ihr gewidmet ist:

«Der erste Mensch, den ich arbeiten sah, war meine Mutter. Ohne einen Begriff davon zu haben, was «Arbeit» war. Es schien das zu sein, was die Frauen machen. Oder der Flückiger, der Lumpensammler, der zusammen mit einem haarigen Berner Sennenhund seinen Lumpensammlerkarren durch die Straßen zog, während die Frauen aus den Häusern traten und ihm ihr «Glump» übergaben. Um es später als in Behindertenheimen fabrizierte Teppiche wieder zurückzukaufen. Nicht dass ich damals schon davon gewusst hätte, so wie niemand genau wusste, was Väter so taten. Sie gingen am Morgen aus dem Haus, kamen am Mittag zum Essen und gingen wieder, um am Abend endgültig zurückzukehren. Sie gingen «zur Arbeit», wurde gesagt. Aber hatte sie jemand je arbeiten sehen? Wusste jemand genau, was sie taten, wenn sie nicht zu Hause waren? War ihre behauptete Arbeit nichts anderes als ein Gerücht? Von ihnen selber in Umlauf gebracht, damit sie erklären konnten, woher das Geld für Miete, Essen und all das Zeug, das wir brauchten, herkam? Vielleicht saßen sie in Kneipen und spielten Karten? Oder sie waren Kriminelle, die Zigaretten und Schnaps schmuggelten. Wer wollte das schon wissen?

Mütter kochten Essen. Gingen einkaufen. Trugen den vollen Wäschekorb in den Keller, hängten die feuchte Wäsche auf Wäscheleinen. Bügelten die Bettwäsche und die Kleider. Machten den Abwasch. Wechselten die Windeln der Kleinen. Fütterten sie. Holten den krachend lauten Staubsauger heraus und fuhrwerkten damit durch die Zimmer. Wedelten mit dem Feudel Staub von den Schränken. Jeden Tag aufs Neue.

Manchmal setzte sich meine Mutter kurz aufs Sofa. Immer mit einer Entschuldigung: «Ich muss mich kurz hinsetzen. Nur eine Minute.» Es war, als entschuldige sich ein Hungriger, dass er jetzt leider, leider etwas essen müsse. Tat sie etwas verbotenes? Ja. Sie arbeitete nicht. War es denn wirklich verboten, nicht zu arbeiten? Ja, war es. Arbeit war das Kreuz und die Auferstehung. In den Traueranzeigen hieß es von verstorbenen Frauen: Ihr Leben war Arbeit. Von Männern hieß es das nicht.»

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